Religiöse Einflüsse auf die Arzneimittelauswahl

Manche Religionsgruppen lehnen einzelne medizinische Therapien ab. Das können Arzneimittel, aber auch andere Behandlungsmethoden sein. Welche Behandlungen bei verschiedenen Religionsangehörigen vermieden oder angepasst werden müssen, erläuterte Dr. Markus Zieglmeier beim ADKA-Kongress, der vom 4. bis 6. Mai 2023 in Nürnberg stattfand.

Das Problem mit dem Schwein

Sowohl Menschen jüdischen als auch muslimischen Glaubens lehnen Produkte ab, die Bestandteile aus Schwein enthalten. Dies hat wahrscheinlich ursprünglich keinen religiösen Hintergrund, sondern einen gesundheitlichen, so Zieglmeier. Im Nahen Osten gab es früher häufig nicht genug Ressourcen wie Feuerholz, um das Fleisch durchzugaren. So drohte die Gefahr von Krankheiten und Parasiten (z.B. Trichinen).

Dieses Problem besteht heute zwar nicht mehr, das Schweineverbot ist aber sowohl im Islam als auch im Judentum verankert geblieben. Die Gründe dafür sind nicht vollständig geklärt. Im Judentum heißen diese verbotenen (Lebens-)Mittel „trefe“, also unrein (das Gegenteil ist „koscher“, also rein), im Islam werden entsprechende Produkte als „haram“ – unrein, verboten – bezeichnet. Als „halal“ bezeichnet wird alles, was rein bzw. erlaubt ist.

Das ist nicht unsere Aufgabe, darüber zu urteilen. Wir müssen unsere Patienten da abholen, wo sie stehen!

Auswirkungen des Schweineverbots auf die Arzneimitteltherapie

Problematisch sind also beispielsweise Heparine, die meist aus der Mukosa von Schweinen gewonnen werden. Als Alternativen schlägt Zieglmeier je nach Indikation Fondaparinux, das mittlerweile im Rahmen der Zulassung relativ breit einsetzbar ist oder DOAK bei Hüft- und Knie-TEP (Totalendoprothese) vor.

Pankreatin, das aus der Bauchspeicheldrüse von Schlachtschweinen gewonnen wird, kann durch Enzyme aus Pilzen ersetzt werden (Lipase aus Rhizopus oryzae, Protease und Amylase aus Aspergillen). Bei Letzteren besteht wiederum das Problem, dass dann in Folge der Aspergillus-Antigentest falschpositiv anschlagen können.

Auch Gelatine in Arzneizubereitungen (Kapselhüllen, seltener Einsatz als Plasmaexpander) besteht häufig aus Schweineschwarten. Mögliche Ausgangsstoffe für die Kapselherstellung sind stattdessen Stärke, Carrageen oder Hydroxypropylmethylcellulose. Auch aus Rindern gewonnene Gelatine kann nicht ohne weiteres als Ersatz dienen, da nur solche aus geschächteten Rindern verwendet werden dürfen. Dies ist in Europa jedoch weitestgehend verboten, entsprechende Produkte können aber vereinzelt bezogen werden.

Wer sicher gehen möchte, kann spezielle Produkte für Muslime von der Organisation Halal Control zertifizieren lassen.

Weitere kritische Produkte

  • Lactose: Orthodoxe Juden dürfen keine lactosehaltige Tablette nach einer Fleischmahlzeit einnehmen; Muslime dürfen keine Lactose konsumieren, die aus Milch nach Ausfällung des Proteins mithilfe von Lab gewonnen wird (Ausnahme: Lab aus Rindermägen geschächteter Rinder)
  • Aminosäuren: Nährböden zur Gewinnung aus genetisch modifizierten Mikroorganismen sind häufig nicht halal; für Aminosäure aus hydrolysierten tierischen Proteinen gilt das gleiche wie für die anderen tierischen Produkte
  • Alkohol: ist als berauschendes Mittel im Islam verboten (laut Koran geht es dabei um Wein und Destillate daraus); Isopropanol und Ethanol aus technischer Produktion sind erlaubt

Bluttransfusionen

Hinsichtlich Bluttransfusionen gilt im Islam, dass diese möglich sind, wenn es keine bzw. nur therapeutisch weniger gute Alternativen gibt. Dies sollten allerdings mehrere Ärzte bestätigen.

Not bricht Gebot.

Anders ist dies bei den bei Zeugen Jehovas: Die Übertragung von Vollblut (inkl. Eigenblut), Erythrozyten, Thrombozyten, Leukozyten oder Fresh-frozen-Plasma sind inakzeptabel. Bei Albumin, Immunglobulinen, Gerinnungsfaktoren, maschinelle Autotransfusion („Cellsaver“) und Erythropoietin ist die Entscheidung dem Einzelnen und seinem Gewissen überlassen.

Im Notfall, wenn der Patientenwille nicht eindeutig geklärt werden kann, beispielsweise durch eine Patientenverfügung, gilt jedoch „in dubio pro vita“, erläuterte Zieglmeier. Dann besteht auch bei bekannten Zeugen Jehovas erst einmal Behandlungspflicht für den Arzt.

Zukünftig könnten eventuell künstliche Sauerstofftransporter Abhilfe schaffen, an denen seit Jahren geforscht wird.

Quelle

Dr. Markus Zieglmeier. Einfluss religiöser und diätetischer Aspekte auf die Arzneimittelauswahl. ADKA-Kongress, 4. bis 6. Mai 2023 in Nürnberg.