Effektive Migränebehandlung wird zu selten umgesetzt

Migränekopfschmerzen sind einfach zu diagnostizieren und gut behandelbar. Verfügbare Pharmakotherapien für Akutbehandlung und Prophylaxe sind hocheffektiv und gut verträglich. Warum erhalten die meisten Patienten trotzdem keine adäquate Behandlung?

Schlechte Versorgung

Dr. Michael A. Überall, Nürnberg, bemängelte in der Jahresauftakt-Pressekonferenz „DGS im Dialog“ der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS), dass offenkundig grundlegende diagnostische und therapeutische Standards bei der Migräne vernachlässigt werden. Jeder sechste Migränepatient ist an mindestens 16 Tagen pro Monat durch seine Erkrankung beeinträchtigt. Im Mittel liegen die monatlichen Kopfschmerztage bei 12,5 ± 6,7 und die korrespondierenden Arbeitsunfähigkeitstage bei 8,8 ± 4,9 Tagen.

Über die Hälfte aller im PraxisRegister Schmerz (pdf) dokumentierten Migränepatienten leidet unter einer sogenannten hochfrequenten episodischen Migräne mit 8 bis 14 monatlichen Migränetagen. Hinzu kommen häufige begleitende Angststörungen und Depressionen, bis hin zu Suizidgedanken. Angesichts der therapeutischen Möglichkeiten viel zu hohe Zahlen, sagte Überall.

… trotz guter Ausgangslage

„Migränekopfschmerzen gehören eigentlich zu den einfach zu diagnostizierenden, effektiv zu behandelnden und mittlerweile auch gut vorzubeugenden chronischen Schmerzsyndromen“, so Überall. Weitere Statements lauteten: Die phänomenologischen Klassifikationskriterien erfordern keinerlei Expertenwissen. Die aktuell verfügbaren Pharmakotherapien für die Akutbehandlung und Prophylaxe sind hocheffektiv, gut verträglich und entweder preiswert (Akuttherapien) oder leitlinienkonform wirtschaftlich einsetzbar. Nichtmedikamentöse Maßnahmen sind überaus wirksam und kostengünstig.

Dennoch führen selbst die im Mittel sechs konsultierten Facharztgruppen nicht zu einer befriedigenden Therapie. Nur ein Drittel der Patienten erhält eine medikamentöse Prophylaxe mit konventionellen Arzneimitteln hoher Evidenz, nur jeder Zehnte eine spezifische Prophylaxe mit einem monoklonalen CGRP-Antikörper.

Eigentlich ist Migräne eine perfekte Schmerzerkrankung. Sie wird jedoch nicht so behandelt, wie sie behandelt werden sollte.

Der Vizepräsident der DGS stellte daher die Frage: „Warum werden unwirksame bzw. unzureichend verträgliche Therapien mit einer Beharrlichkeit perpetuiert, die nicht nur viele Fragezeichen aufwerfen, sondern auch erklären, warum immer noch so viele Menschen unter ihrer Migräne leiden, anstatt in der Lage zu sein mit ihrer Migräne zu leben?“

Unkenntnis und Berührungsängste bei CRGP

Ein Grund für die unzureichende Behandlung sei nicht vorhandenes Wissen über aktuell empfohlene und wirksame Therapiewege. Unter anderem würden vermehrt Migränepatientinnen Gynäkologen als Ansprechpartner wählen, die jedoch oft eine Therapie auf State-of-the-art-Niveau nicht leisten könnten.

Zudem gebe es eine deutliche Zurückhaltung bei der Verordnung von Antikörpern gegen das Calcitonin gene-related Peptide oder dessen Rezeptor (CRGP-AK) wie Eptinezumab, Erenumab, Fremanezumab und Galcanezumab. Die Verordnung und Kostenübernahme für diese Wirkstoff sei jedoch unter anderem durch die jeweilige Zulassung und G-BA-Beschlüsse klar geregelt und mittlerweile stark vereinfacht worden. Da durch den Einsatz von CRGP-AK schnelle Erfolge eintreten, forderte Überall mehr Mut bei deren Anwendung.

Konkrete Empfehlungen bietet der PraxisLeitfaden (pdf) der DGS mit seinen Algorithmen für die Optimierung von Akuttherapie und Prophylaxe, den Überall allen Medizinern, die mit Migränepatienten in Kontakt kommen, ans Herz legte.

Quelle

Priv.-Doz. Dr. med. Michael A. Überall, Nürnberg. Schmerzmedizin 2024: Versorgung verbessern – für Betroffene und die Gesellschaft. Online-Jahresauftakt-Pressekonferenz „DGS im Dialog“ am 17. Januar 2024.